BMBF lässt Studierende im Stich

Beinah 70% der Studierenden in Deutschland sind auf einen Job neben dem Studium angewiesen[1]. Die Corona-Pandemie und die damit verbundenen Einschränkungen auf dem Arbeitsmarkt haben dafür gesorgt, dass viele Studierende ihre Arbeit verloren und finanziell in eine Notlage geraten sind. Im Februar 2020 waren plötzlich über 700.000 Studierende ohne Job. Das entspricht ungefähr der Anzahl aller Studierenden in Nordrhein-Westfalen. Weil für Studierende weder Kurzarbeitergeld noch Arbeitslosengeld vorgesehen ist, verwundert es nicht, dass 29% von ihnen in einer Umfrage angaben, unter Existenzängsten zu leiden[2].

Besonders betroffen vom Jobverlust sind Studierende aus finanzschwachen Haushalten[3]. Sie arbeiten vermehrt in fachfremden “gering qualifizierten” Nebenjobs (z.B. Gastronomie) und in Branchen, die von den staatlichen Maßnahmen zum Infektionsschutz besonders betroffen (z.B. Veranstaltungsgewerbe, Messen, etc.) sind. Zusätzlich können sie selten auf eine finanzielle Unterstützung durch die Eltern oder Familie zurückgreifen und befanden sich oft schon vor der Krise in prekären Lebenssituationen[4]. Die Vermutung liegt nah, dass viele dieser Studierenden ihr Studium wegen der finanziellen Notlage pausieren – oder sogar abbrechen müssen. In Berlin beispielsweise stieg die Zahl der Studienabbrecher*innen nach dem Sommersemester 2020 im Vergleich zu ganz 2019 um 20%[5].

Studierende gehen von Board (c Merlin Szymanski)

Wo sind die Diskussionen und Aufschreie? Wo die Krisensitzungen und Beratungen, im Angesicht dessen, dass ein Studium wieder vermehrt mit dem Geldbeutel der Eltern zusammenhängt?

Das BMBF unter Anja Karliczek reagierte erst im Juni 2020 auf die miserable Situation der Studierenden und stellte Hilfe in Form eines KfW-Kredites und der Corona-Nothilfe in Aussicht. Die Bildungsministerin machte keinen Hehl daraus, dass sie die Aufnahme eines Kredits als die bessere, bewährtere Lösung sah[6]. Dabei ist diese weder besser noch bewährt: Die KfW-Kredite treiben Studierende über versteckte Zinsen in die Schuldenfalle. Um das Darlehen attraktiver zu gestalten, werden die Zinsen auf den Kredit bis zum 31.03.2021 vom BMBF übernommen, anschließend werden die Studierenden belastet – eine Falle, vor der auch Verbraucherschützer warnen[7], [8]. Dieses Vorgehen des BMBFs wirkt eher wie eine Wiederbelebung des Ladenhüters als nach einer Hilfeleistung für notleidende Studierende[9].

Die Nothilfe wurde als direkter Zuschuss ohne Rückzahlung über die Studierendenwerke vergeben. Individuell wurden monatlich abhängig vom Kontostand der Studierenden Gelder bis maximal 500,00 € gewährt. Zur Verfügung standen 100 Mio €[10], die rechnerisch für lediglich 67.000 Studierende über drei Monate ausreichen würden. Die Möglichkeit, einen Antrag auf Nothilfe zu stellen, existierte seit Mitte Juni 2020 und wurde auf die Monate Juni bis September begrenzt, wobei die Nothilfe höchstens für drei Monate beantragt werden darf[11]. Eine Verlängerung der Nothilfe gibt es seit Ende September nicht mehr[12].

Passend zur Priorisierung der KfW-Kredite als bevorzugte Lösung sind die hohen Hürden und irrationalen Regelungen um die Beantragung der Nothilfe. So muss diese jeden Monat neu beantragt und bewilligt werden, was regelmäßig einen neuen Zeitaufwand von mehreren Stunden und eine neue Ungewissheit über den Erfolg des Antrags mit sich bringt. Um die volle Förderungssumme von 500,00 € zu erhalten, darf der Kontostand bei Beantragung nicht mehr als 100,00 € betragen – das Konto wird auf maximal 599,00 € aufgefüllt[13] – der Zuschuss muss also mit leerem Konto beantragt werden. Dauert die Bearbeitung zu lange, kommt die Nothilfe zu spät. Dass die Studierenden bei Antragstellung überwiegend pleite waren, zeigt der hohe Durchschnitt von ausgezahlten 434,00 € pro bewilligtem Antrag[14].

Bis zum 21. August gingen bei den Studierendenwerken 354.000 Anträge ein. Von diesen Anträgen wurden lediglich 189.715 als vollständig bewertet und bearbeitet. Lediglich 58% wurden bewilligt[15]. Die Quoten für die Ablehnung unterscheiden sich zwischen den Bundesländern immens und bewegen sich zwischen 10 und 60%[16], da es kein einheitliches System für Zu- oder Absagen gibt. Auch uneinheitlich ist der Umgang der Studierendenwerke mit den Anträgen. Die Ablehnung erfolgt häufig ohne Begründung[17]. Wenn es eine Begründung gibt, dann liegt die Ablehnung vorwiegend an fehlenden Unterlagen, Unleserlichkeit oder einer nicht Pandemie bedingten Notsituation. Die Möglichkeit, den Antrag nachträglich zu überarbeiten, ist nur selten gegeben. Doch wie sieht die Bilanz aus? In diesen vier Monaten wurden rund 136.000 Anträge bewilligt. Mit jedem Monat sank die Anzahl der Anträge von 81.000 im Juni auf ca. 37.000 im September. Während das BMBF den Rückgang als Erfolg und eine Entspannung der Notlage interpretiert, ist es wahrscheinlicher, dass die Studierenden eine Antragstellung gar nicht mehr versuchen, wegen der beschriebenen Probleme. Im Topf verblieben zum Ende des Antragszeitraums noch rund 30 Mio. €[18].

Neben den Studierenden, denen bislang in der Krise tatsächlich geholfen wurde, gibt es einen bedeutenden Anteil an Studierenden, deren Situation sich nicht Pandemie bedingt verschlimmert hat und denen deshalb nicht geholfen wurde. Es sind häufig diejenigen, die vorher schon in prekären Verhältnissen studiert und gelebt haben. Die Chancen sind hoch, dass diese Gruppe das Studium entweder abbricht oder mit hohen Schulden abschließt. Die Pandemie verstärkt somit die Ungleichheit in der Zusammensetzung der Studierenden und verschlechtert für die verschuldeten Absolvent*innen die Startbedingungen in das Berufsleben. Bildung darf nicht vom Geldbeutel abhängen!

Die Krise ist noch nicht vorbei. Während das BMBF unter Anja Karliczek (CDU) mit dem Einstellen der Nothilfe seine Unterstützung für beendet erklärt, braucht es jetzt zeitnah eine substantielle Reform für eine krisensichere Studienfinanzierung:

  1. Bis Ende 2020 muss die Regierung endlich die im Koalitionsvertrag vereinbarte “Trendumkehr bis 2021” im BAföG einleiten.
  2. Bei einer erneuten Aktivierung der Soforthilfe müssen Gelder schneller und weniger bürokratisch ausgezahlt werden. Das BAföG benötigt einen Notfallmechanismus in Form von Abschlagszahlungen: Vorauszahlung des Geldes, dann Prüfung und notfalls eine Verrechnung.
  3. Es muss sichergestellt werden, dass 2021 die Zahl der BAföG-Hilfe Empfänger*innen von unter 12% (Stand 2019[19]) auf mindestens 20% der Studierenden steigt. Erst dann lässt sich von einer “Trendumkehr” sprechen.

Yasmin Frommont, Merlin Szymanski & Martin Grund

Kontakt: info@spdwisspol.de

02.10.2020


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[1] https://www.diw.de/de/diw_01.c.790492.de/publikationen/diw_aktuell/2020_0044/wegfall_von_studi-jobs_koennte_bildungsungleichheiten_verstaerken.html#_ftn1/

[2] https://jusohochschulgruppen.de/content/uploads/2020/07/Studieren-w%C3%A4hrend-der-Covid19-Pandemie_Analyse.pdf https://www.zeit.de/campus/2020-07/nebenjobs-studenten-hochschueler-coronavirus-existenzaengste-jobverlust-juso-hochschulgruppe

[3] https://jusohochschulgruppen.de/inhalte/studieren-waehrend-der-covid19-pandemie/

[4] https://www.gew-ansbach.de/2020/08/neue-bafoeg-zahlen-belegen-studierende-schon-vor-der-krise-in-desolater-lage/

[5] https://www.wsws.org/de/articles/2020/08/17/hilf-a17.html

[6] https://www.bmbf.de/files/2020-04-30_051%20PM%20Corona-%C3%9Cberbr%C3%BCckungshilfe%20Studierende.pdf

[7] https://www.kfw.de/inlandsfoerderung/Privatpersonen/Studieren-Qualifizieren/Finanzierungsangebote/KfW-Studienkredit-(174)/

[8] https://www.handelsblatt.com/politik/deutschland/ueberbrueckungszuschuesse-viele-studenten-bekommen-die-coronahilfe-nicht/26027610.html?ticket=ST-4720630-pyYI0sEUd6iNseRsNYCT-ap1

[9] https://www.handelsblatt.com/politik/deutschland/bildung-corona-treibt-die-studienkredite/25964232.html?ticket=ST-3409423-KvhruYdgwTiz14i9xuFo-ap2

[10] https://www.bafoeg-rechner.de/Hintergrund/art-2418-corona-nothilfefonds-wird-verlaengert.php

[11] https://www.gew.de/presse/pressemitteilungen/detailseite/neuigkeiten/gew-corona-hilfen-fuer-hochschulen-verbessern-und-nicht-nur-verlaengern/

[12] https://www.jmwiarda.de/2020/09/25/wohin-mit-den-millionen/

[13] https://www.bmbf.de/files/Richtlinien%20%c3%9cberbr%c3%bcckungshilfe%20Endfassung.pdf

[14] https://www.jmwiarda.de/2020/09/25/wohin-mit-den-millionen/

[15] https://www.jmwiarda.de/2020/08/21/166-000-mal-unvollst%C3%A4ndig/

[16] https://www.zm-online.de/news/politik/40-prozent-der-antraege-auf-studierenden-nothilfe-wurde-bisher-abgelehnt/

[17] https://www.wsws.org/de/articles/2020/08/17/hilf-a17.html

[18] https://www.jmwiarda.de/2020/09/25/wohin-mit-den-millionen/

[19] https://www.bafoeg-rechner.de/Hintergrund/art-2416-bafoeg-statistik-2019.php

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